Warum Erklärungen nichts bringen, dich in die Aufmerksamkeitsfalle führen und was Kindern wirklich hilft, Mitgefühl & Empathie zu leben.
Von Haudegen, Kratzbürsten, Brüllaffen und den Erklärbären.
Zum Anfang gleich mal die radikale Wahrheit: Jedes Kind haut, kratzt, beißt oder schubst im Laufe seines Lebens. Die einen mehr, die anderen weniger. Manche verdeckt, manche offensichtlich und noch mit einem Grinsen im Gesicht. Manche verbal, manche körperlich. Und natürlich hofft jedes Elternteil trotzdem, dass es beim eigenen Kind, nicht so wird. Niemand möchte, dass sein Kind sich irgendwie sozial auffällig verhält. Und dann passiert es doch: "Och nö! Mist, urgs! Wie unangenehm." Entweder passiert es auf dem Spielplatz - Schwups, ist die Schaufel entrissen und das Geschrei groß oder du sitzt vielleicht mit einer Freundin vergnügt um die Spieldecke der Kleinen und zack: Bagger über den Kopf gezogen - "Whoops und jetzt? Sag ich was? Und wenn ja, was? Mmmh na ja, solange keiner schreit und keiner echauffiert guckt, ignoriere ich es auch lieber." Oder auch ein schöner Klassiker für Erzieher*innen in der Kita: Alle "wollen" entspannt die Ruhepause genießen und zack kratzt der eine Haudegen, dem anderen durchs Gesicht. Gründe, gibt es viele und so divers die Situationen sind, so unterschiedlich sind auch die Hintergründe unserer Kleinen. In diesem Beitrag geht es aber vielmehr um uns Erwachsene, unseren Umgang mit Haudegen, Kratzbürsten und Brüllaffen und unsere gängigen "Erklärbär-Muster". Natürlich gibt es auch Elternativen.
"Stopp! Wir hauen nicht. Sag Entschuldigung!"
"Stopp, wir hauen nicht." Mach "ei". oder "Haudegen, stopp! Du weißt es doch. Nicht hauen." oder "Hey, das tut doch weh! Da musst du doch aufpassen." Die verbalen Versuche Kindern zu erklären, dass "man nicht haut" sind unendlich und ich sag dir eins: Spar dir diese unendlichen Worte, Erklärungsversuche, ob lieb oder genervt - du weißt es selbst, es ist nicht nur ein unendlicher Energiefresser, sondern auch deprimierend, wenn du nach einer richtig ausgefeilten Standpauke denkst: "Jetzt hat er/sie es verstanden. Wir haben es besprochen und ich bin mir sicher, er/sie hat es wirklich verstanden." Und dann kommt die Realität.
Herrlich ist auch die Frage nach dem Warum? "Ja, was war denn da los? Du weißt doch, dass..." Nicht, dass du mich falsch verstehst, natürlich gibt es ein Alter, indem man Emotionen nachbesprechen, nochmal drüber reden kann und vor allem eben Gefühle, die man als Erwachsener beobachtet hat, in Worte packt. Aber eben erst, wenn die Emotionen vorbeigestürmt sind. Ich möchte wirklich keinen verletzen, angreifen oder desillusionieren, aber ein bisschen lustig sind wir Erwachsene schon, denn kennen wir das nicht alle: Natürlich wissen wir, dass Herumschreien oder den Partner anzumaulen nicht okay ist und "dass man, dass nicht macht." Aber passiert es dann nicht doch immer mal wieder? Und wissen wir es im Nachhinein nicht auch immer besser? Klar, Kinder wissen es auch irgendwann und sind vor allem Weltmeister im Regeln wiederholen und ja, sie können auch Entschuldigung nachplappern, andere dran erinnern und trotzdem passiert es ihnen eben immer wieder - genau wie uns.
Wenn du möchtest, dass dein Kind "Entschuldigung" fühlt, lebe es!
Zurück aber zu den unspektakuläreren Vorfällen, zumindest für den "Täter". Wir befinden uns auf dem Spielplatz und dein Haudegen nimmt einem anderen kleinen Fratz die Schaufel weg. Natürlich ungefragt. Klein Fratz fängt an zu weinen und nun stehst du da. Der erste Impuls wird sicher sein: "Haudegen, nicht einfach die Schaufel wegnehmen. Gib sie wieder zurück." Oder du hockst dich zu "Haudegen" und fängst an ganz liebevoll alles zu erklären: Schau mal Haudegen, ich möchte nicht, dass Du anderen Kindern etwas wegnimmst. Jetzt weint, dass Kind. Gib sie wieder zurück. Einfach wegnehmen, ist wirklich nicht nett." Und so weiter und so fort. Ich bin mir sicher, du gibst wirklich alles. Was wir Erwachsene aber oft bei unserem ganzen Erklären und "Wir-wissen-ja-schon,-wie-das-hier-alles-läuft-Modus" und "Ich-zeig-dir,-wie-man-sich-auf-unserem-Planeten-verhält-Attitude" vergessen, ist, dass wir viel zu viel reden, unbekannte Wörter benutzen, eine unmögliche Transferleistung von den Kleinsten erwarten und vor allem vergessen wir selber mitzufühlen. Denn währenddessen wir uns Haudegen widmen, sitzt Klein Fratz ganz alleine mit seinen Emotionen da und Haudegen denkt sich: "Blablabla - wann kann ich weiter schaufeln?" oder im Gehirn entsteht ein großes Wollknäuel. Klar, will ich keinem sein Mitgefühl absprechen, gleichzeitig landet dieses aber eben oft beim "Täter" verpackt in "Erklärungen" oder strengen Worten. Oder gehen sie tatsächlich unter bei all den intellektuellen Erklärungen, dass "man das nicht tut"? Beobachte dich doch, dass nächste Mal einfach selbst oder erinnere dich an deine letzte Diplomatenrolle.
Fühlen und (Vor) leben, statt erklären und reden
Oder versuche es bei der nächsten Möglichkeitdirekt anders zu machen: Mitgefühl zu zeigen und (vor) zu leben, hilft deinem Kleinen nämlich am meisten. Anstatt die Aufmerksamkeit auf den Haudegen, die Kratzbürste oder den Brüllaffen zu legen und lange Erklärbär-Reden zu schwingen oder eben zu schimpfen, widme deine Aufmerksamkeit dem "Geschädigten". Hast du also einen kleinen Fratz vor dir, der gerade einen Bagger über den Kopf gezogen bekommen hat, oder kommt ein Kind bei der Kitaabholung ganz aufgeregt zu dir gelaufen und erzählt, dass dein Haudegen ihm/ihr heute einen Baustein über den Kopf gezogen hat oder eben "Aua macht hat", widme dich den Tränen oder dem "Opferbericht". "Oje. Entschuldigung. Och Mensch, das tat bestimmt weh, oder? Oder joaaa, eieiei puste puste meck, das Aua ist jetzt weg" oder was du auch immer fühlst, kennst, magst. Hauptsache du lebst und fühlst deinem kleine Haudegen vor, wie man trösten bzw. wiedergutmachen kann. Natürlich, kannst du dein Kind aktiv einbinden und gemeinsam überlegen, was ihr nun tun könnt, aber meistens wollen die Kleinen, wenn Mami oder Papi streicheln, eh auch mitmachen, oder sie gucken ganz gespannt zu und du findest das "Nachahmen" in einer anderen Situation, zu einem späteren Zeitpunkt wieder. Auch wenn es am Anfang noch schwer fällt und du es zunächst vielleicht doch zum Schluss nochmal sagen musst, "dass man nicht haut", übe zumindest einen anderen Beginn der Situation. Für dich. Für dein Kind. Wenn es am Ende noch mit einem "schlauen Satz" aufhören "muss", sei nicht so streng mit dir, es wird noch viele Möglichkeiten geben;-)
Die Aufmerksamkeitsfalle und ihre Folgen
Ein weiterer Vorteil an dieser Elternative Empathie und Mitgefühl vorzuleben, statt lange Reden mit dem "Täter" zu schwingen, ist, dass du dir nicht den Mund fusselig redest und am Ende enttäuscht oder deprimiert bist, dass es doch wieder passiert. Außerdem verhinderst du, dass du und dein Kind in die sogenannte Aufmerksamkeitsfalle tappt. Oft bekommen Kinder nämlich die volle Aufmerksamkeit, wenn sie etwas tun, was Mama oder Papa, Erzieher*in oder Opa - wer auch immer - abgrundtief nervt, stört oder eben mit den eigenen Werten kollidiert. Dann wird es meist richtig intensiv und "Juhu, endlich ist Mami bei mir!" Es gibt Blickkontakt, eventuell noch körperliche Berührungen, da Kind nun bitte stehenbleiben und zuhören soll und dann gibt es erstmal ein inniges Gespräch. Die liebevolle Variante findet dann oft auch noch auf der Couch statt und weil man ja so beziehungsvoll erzieht, dann eben auch noch ganz verständnis- und kuschelvoll. Kinder unterscheiden nicht zwischen negativer und positiver Aufmerksamkeit. Hauptsache sie bekommen sie. Das Warum rückt in den Hintergrund und schon kann es dir passieren, dass dein Kind lernt, dass es Aufmerksamkeit bekommt, wenn es haut, brüllt, beißt oder kratzt. (Bitte beachte, dass es noch 100 andere Gründe gibt, warum Kinder hauen, beißen kratzen)
Ein Beispiel aus der Praxis
Ein Kind und ich hatten mal seinen Freund als Spielbesuch eingeladen. Als wir essen wollten, fragte mich der Freund, ob er auf Kindikinds Stuhl sitzen dürfte. Ich gab ihm den Tipp Kindikind zu fragen. Leider gab es die Antwort: "Nein". Freund war enttäuscht und guckte mich an. Anstatt nun eine Erklär-Debatte mit Kindikind und Freund anzufangen, entschied ich mich folgendermaßen: Ich konzentrierte mich auf Freund und sagte: "Oh Mensch, ja, dass versteh ich, dass du nun etwas enttäuscht bist. Da bist du hier zu Gast und siehst diesen besonderen Stuhl....joa, mmmh, weißt du das einzige, was ich dir anbieten kann, ist, dass du auf meinem Stuhl sitzt. Dann nehme ich heute einen anderen. Mir ist das egal auf welchem Stuhl und wo ich sitze." Sofort kam Kindikind dazu und nun passierte etwas so Tolles: Kindikind hörte meinen Vorschlag und sagte: "Oder ich habe auch noch eine gute Idee: Freund kann auf meinem Stuhl sitzen und ich sitz auf deinem und du hier, Maria."
An dieser Stelle noch ein Tipp von mir: Definiert man Gebrauchsgegenstände wie beispielsweise Stühle oder auch Gartenspielsachen nicht als "mein" und "dein" ist es für Kinder manchmal leichter zu teilen, abzugeben, sich zu lösen. Wenn allen, alles gehört, wird es zu einer Selbstverständlichkeit, dass man tauscht und alle, alles nutzen. Natürlich gibt es Ausnahmen und eben auch besondere Spielzeuge. Besitzansprüche können so trotzdem reduziert werden und wie gesagt, dass Abgeben fällt dann auch irgendwann nicht mehr so schwer. Das aber nur am Rande, denn Thema Teilen bietet natürlich Stoff für einen weiteren Beitrag.
Zum Abschluss noch ein Ausrufungszeichen
Wenn du es nicht lassen kannst, schlau zu erklären oder kein Mitgefühl empfindest, (soll es ja auch geben) versuche mit Alternativen zu arbeiten. Kinder hören viel zu oft, was man alles nicht darf und was nicht geht und viel zu wenig, was alternativ geht und vor allem wie es geht. Für dich selbst, bietet es die Chance dich zufriedener zu fühlen, denn wer ist schon gern die "Mecker-Mami" oder die "Verbotstante". Erinnere dich auch gerne, welche Erwachsenen du als Kind kanntest, von denen du gerne Dinge angenommen hast? Und warum?
In diesem Sinne:
Schöne Vorfreude auf die nächste Möglichkeit Mitgefühl zu leben
und dich neu zu erleben.
Falls du Fragen hast oder etwas loswerden möchtest, immer raus damit.
Deine Maria
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